„Jeder Unfall tut uns richtig weh“

Die Vielzahl von beschädigten Stadtbahnen bedeutet nicht nur für die Werkstätten eine große Herausforderung

Auf der Hebeanlage des hintersten Werkstattgleises steht eine Bahn der 2400er-Serie, die sich nur langsam von einem schweren Unfall erholt. Immerhin durfte die Bahn schon den separaten Hallenbereich der Hauptwerkstatt in Weidenpesch verlassen, eine Art Intensivstation für Stadtbahnen, in der die schwerwiegendsten Schäden behoben werden.
 

Mitarbeitenden schauen aus der Fahrerkabine heraus

Thomas Heinrichs und Marcel Franssen in der
von einer Lkw-Hebebühne durchbohrten Bahn.

Seit zwei Monaten befindet sich das Fahrzeug in der Instandsetzung, das Fahrgestell ist abmontiert worden, die Fahrkabine ist nur noch ein stählernes Gerippe, die Scheiben fehlen, sämtliche elektronischen Instrumente sind ausgebaut worden. Allein im Jahr 2024 wurden 23 Bahnen bei Unfällen schwer beschädigt, hinzu kommen 492 leichte Unfälle und 180 Schäden durch Graffiti.

Die Zahl der Stadtbahnunfälle hat in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugenommen, im Jahr 2022 wurden 476 Unfälle registriert, im Folgejahr 536 und im Jahr 2024 waren es 545 Unfälle. Entsprechend gestiegen ist auch die Zahl der Unfallschäden.

Bei den Unfällen des Jahres 2022 wurden 382 Bahnen leicht und 24 schwer beschädigt. Im Jahr 2023 gab es 415 leicht beschädigte Bahnen und 23 mit erheblichen Schäden. Nicht nur in der Hauptwerkstatt der KVB werden Reparaturen durchgeführt, die Folgen kleinerer Unfälle können auch auf den Betriebshöfen behoben werden. „Grundsätzlich wirkt sich jede Art von Unfall – ob kleiner Rempler oder größerer Sachschaden – auf die Fahrzeugverfügbarkeit aus. Problematisch wird es insbesondere dann, wenn mehrere Vorfälle in kurzer Zeit auftreten oder wenn Fahrzeuge mit hohem Teile- oder Instandhaltungsaufwand betroffen sind“, sagt Martin Süß, Bereichsleiter Werkstätten Stadtbahn und Bus bei der KVB. Lange Standzeiten der Unfallbahnen seien eine „spürbare Herausforderung“ für die Betriebsplanung.

Beinah täglich kommt es im Streckennetz der KVB zu Kollisionen zwischen Bahnen und anderen Fahrzeugen – meist mit glimpflichem Ausgang. Manchmal ereignen sich sogar mehrere Unfälle binnen weniger Stunden.

Beschädigte Frontschürze

In einem Metallkorb liegt die beschädigte Schürze einer Bahn.

So wie am 7. November 2025: Um 10.45 Uhr streift ein Pkw am Ehrenfeldgürtel an einer Fahrbahnverengung eine Bahn der Linie 13, um 13.35 Uhr kollidiert ein Pkw am Lindenthalgürtel beim Einparken mit einem Zug der Linie 13, um 15.15 Uhr übersieht ein Rennradfahrer in Buchforst beim Linksabbiegen eine entgegenkommende Bahn der Linie 3, übersteht den Zusammenstoß aber mit leichten Blessuren, um 15.30 Uhr übersieht schließlich eine Autofahrerin in Ossendorf beim Einparken die Linie 5, es kommt zum Zusammenstoß. In allen Fällen entstehen an den Bahnen Lack- und Blechschäden, in einem Fall bricht die Halterung der Frontschürze.

Auch leichte Unfälle enden für das Fahrpersonal der Bahnen häufig in der Trauma-Ambulanz, weil sie einen Schock erleiden. Bei den Insassen der beteiligten Autos sitzt der Schrecken meist ebenfalls tief. Die Auswirkungen der Unfälle sind vielschichtig, fast immer kommt es zu Verspätungen und Unregelmäßigkeiten im Fahrplan. „Bei kleinen Unfällen versuchen wir die Unfallaufnahme nach Rücksprache mit der Polizei so durchzuführen, dass der Linienbetrieb fortgesetzt werden kann. Bei größeren Schäden kommt es auch zur Trennung von Linien und Umleitungen der Bahnen auf andere Strecken“, sagt Paul Timmer, Leiter des Leitstellenmanagement.

Bei der Reparatur der Stadtbahnen geht es um Präzision und um Schnelligkeit, denn die Bahnen sollen so schnell wie möglich wieder in Betrieb gehen. „Die wesentlichen Herausforderungen liegen in der Sicherstellung von Werkstattkapazitäten und der Verfügbarkeit von Ersatzteilen“, erklärt die Leitung Werkstätten Stadtbahn, vertreten durch Thomas Heinrichs. Kaputte Seitenfenster und sogar die Frontscheibe der Bahnen können innerhalb weniger Stunden ausgebaut und ersetzt werden. „Wenn alle Teile verfügbar sind, kann eine Bahn je nach Schadensbild kurzfristig wieder eingesetzt werden“, sagt er.

Bei der Bahn auf den Hebegleisen wird die Rückkehr in den Linienbetrieb noch etwas dauern. In Deutz hatte sich die halb herabgelassene Hebebühne eines Lastwagens in die Fahrerkabine gebohrt, glücklicherweise war niemand verletzt worden. Thomas Heinrichs und Marcel Franssen, Leiter der Meisterei Fahrzeuginstandsetzung, klettern über eine Leiter in die Bahn, deren Innenraum wie ein Ersatzteillager aussieht.

Zwischengelagerte Materialien

Die Bedieninstrumente wurden bei der Unfallbahn ausgebaut und warten nun auf den Einbau in die reparierte Fahrkabine.


Die Bedieninstrumente wurden bei der Unfallbahn ausgebaut und warten nun auf den Einbau in die reparierte Fahrkabine.

Der Fahrersitz steht zwischen zwei Sitzreihen, ebenso die Frontschürze, neue Ersatzteile liegen neben ausgebauten Bestandsteilen. „Blank machen“ nennt Franssen den Ausbau der Instrumente.

„Die unbeschädigten Teile werden gereinigt und dann wieder eingebaut“, erklärt die Leitung der Stadtbahnwerkstätten. Der Fahrerstand ist bereits neu verschweißt worden.
 
Wenn die Werkstattkapazität nicht ausreicht oder der Schaden zu umfangreich ist, werden beschädigte Bahnen auf einen Tieflader gehoben und in eine externe Werkstatt gebracht. Zuvor werde zur genauen Schadensfeststellung ein Gutachter eingeschaltet, anschließend müsse je nach Umfang der Instandsetzungsmaßnahmen eine europaweite Ausschreibung für den Reparaturauftrag erfolgen. „Vor allem bei Materialverformungen, also strukturellen Schäden, sind die Bahnen zum Teil mehrere Monate weg. Grundsätzlich tut uns aber jeder Unfall richtig weh“, meint Thomas Heinrichs. Um unabhängiger von Lieferketten zu sein, werden neben konventionellen auch alternative Beschaffungsmaßnahmen geprüft. So wurden bereits Scheinwerferträger von Fahrzeugen mittels 3D Druck gefertigt und eingebaut. Risse in der Fahrzeugverkleidung können je nach Größe geklebt werden.

Stadtbahn wartet auf die neue Frontschürze

Vor allem die rechte Seite der Bahnen wird bei Unfällen
häufig beschädigt, hier eine Bahn der 5300er-Serie.

Vorne rechts.
 
Hier trifft es die Stadtbahnen bei Unfällen am häufigsten. Oft ist das verbotene Linksabbiegen von Fahrzeugen über die Gleisanlage die Ursache für Zusammenstöße. Damit sich die Schäden in Grenzen halten, werden alle wichtigen elektronischen Teile auf der linken Seite der Stadtbahnen verbaut. „Bei Kollisionen zwischen Pkw und Hochflurbahnen, bei denen der Fahrgastraum insgesamt höher liegt, werden bei den Bahnen oft nur die Schürzen beschädigt“, weiß Heinrichs aus Erfahrung.
 
Alle zwölf Stadtbahnlinien verlaufen in Köln zumindest teilweise auf „straßenbündigem Bahnkörper“, wie es fachlich korrekt heißt. Mit anderen Worten: Bahnen teilen sich die Straße mit dem Individualverkehr. Beim Befahren der Gleise ist für andere Fahrzeuge fast immer größte Vorsicht geboten, so verlangt es die Straßenverkehrsordnung. „Fahrzeuge, die in Längsrichtung einer Schienenbahn verkehren, müssen dies, soweit möglich, durchfahren lassen“, heißt es in §2, Absatz 3. Auch Linksabbieger dürfen sich bei mehrspurigen Straßen nur dann auf den Gleisen einordnen, wenn sie dabei keine Bahn behindern. Und an Stellen, wo die Gleise auf eine Fahrbahn geführt werden, hat stets die Bahn Vorrang. Entsprechend oft liegt die Unfallschuld deshalb bei Autofahrerinnen und Autofahrern.

Um Unfälle zu vermeiden, werden derzeit Prototypen verschiedener Fahrassistenzsysteme getestet, die künftig in neue Stadtbahnen eingebaut werden sollen. Diese Systeme verfügen über mehrere Kameras und sollen beispielsweise auch linksabbiegende Autos frühzeitig erkennen.

 

Fotos: KVB und Christian Seiter
 
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In guten Händen – Psychologische Betreuung nach Unfällen

100 Jahre Zukunft Hauptwerkstatt

Voll neben der Spur: PKW im Gleis

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