Meine Linie: die Linie 9

Wenn man anschauliche Beispiele sucht, wie sich ein Stadtviertel verändert – der Hermeskeiler Platz in Sülz ist eines. Bis in die zweite Hälfte der 1980er Jahre bestimmte der KVB-Betriebshof dort maßgeblich das Bild. Ich erinnere mich noch genau, wie wir als Kinder auf dem Weg zum Schlittenfahren im Beethovenpark an dem riesigen Areal vorbeigelaufen sind und neugierige Blicke in die Anlage geworfen haben. Da war immer was los, da brummte und quietschte es, das war spannend. Die Zeiten sind lange vorbei, übriggeblieben sind die

Blick aus der Bahn auf die Uni Mensa

Blick aus der Bahn auf die Uni Mensa

beiden Gleise der Endhaltestelle der Linie 9 – auf dem Gelände des Betriebshofes ist ein großes Wohngebiet entstanden. Es ist ruhig geworden dort, fast beschaulich.

Seit ich in Sülz wohne, ist die 9 „meine“ Linie: 15,4 Kilometer lang, verbindet sie seit 1994 mit dem Äußeren Grüngürtel und dem Königsforst zwei wunderschöne Naherholungsgebiete, man „erfährt“ auf ihrem Weg aber im wahrsten Sinne des Wortes auch die gesamte Vielfalt großstädtischen Lebens. Das Studentenleben zum Beispiel. Spätestens hinter der Universitätsstraße wird es quirlig auf der Zülpicher Straße. An lauen Sommerabenden sitzen die Studenten aufgereiht auf der kleinen Mauer gegenüber der Mensa,

Bunter Blickfang im Studentenviertel

Bunter Blickfang im Studentenviertel

spielen auf den Uni-Wiesen Fußball oder radeln durchs Grüne. Das alles können sie derzeit weitgehend ungestört vom Autoverkehr: Die Straße ist dort für den Individualverkehr testweise gesperrt – ein umstrittener Versuch, der die Aufenthaltsqualität in diesem Bereich verbessern soll. Für uns entscheidend: Die 9 hat weiterhin freie Fahrt.

Ein paar Meter weiter beginnt das Zentrum des studentischen Freizeit-Treibens: Bars, Kneipen, Döner-Buden, das Kult-Lokal Oma Kleinmanns, das Programm-Kino Off-Broadway und einiges mehr. Sobald es das Wetter zulässt, spielt sich das Leben im Freien ab: Die Menschen stehen dann in Scharen auf den Bürgersteigen – und manchmal sogar auf der Straße. An Karneval zum Beispiel ist auf der Zülpicher Straße kein Durchkommen, dann müssen sogar die Bahnen umgeleitet werden.
Am Zülpicher Platz überquert die 9 die mittelalterliche

Kneipen, Bars und Dönerbuden: Das 'Kwartier Latäng'

Kneipen, Bars und Dönerbuden: Das ‚Kwartier Latäng‘

Stadtgrenze, der Blick aus der Bahn fällt auf die Ende des 19. Jahrhunderts erbaute Herz-Jesu-Kirche mit ihrem markanten Turm – übrigens nur eine der vielen Kirchen entlang der Strecke. St. Mauritius wird noch kommen, ebenso St. Aposteln, St. Peter und St. Maria im Kapitol und am Deutzer Rheinufer Alt St. Heribert. Das ist wie Sightseeing für Touristen, auf jeden Fall ein Stück Kölner Kirchen- und Kulturgeschichte.

Hoch zu Ross: Preußenkönig Friedrich Wilhelm III.

Hoch zu Ross: Preußenkönig Friedrich Wilhelm III.

Aber die Gegenwart holt mich schnell wieder ein. Der Fahrer biegt auf die Hahnenstraße ein, schon laufen zwei Jugendliche vor der Bahn über die Gleise. Klingeln, bremsen – die Fahrer dürfen sich keine Sekunde Unachtsamkeit leisten. Es ist ein kleines Wunder, dass auf der Strecke durch die Innenstadt, die sich die 9 mit den Linien 1 und 7 teilt, nicht mehr Unfälle passieren.

Der LVR-Turm in Deutz

Der LVR-Turm in Deutz

Zumal die Ost-West-Achse extrem stark befahren ist. Die Züge sind zu Stoßzeiten längst an ihrer Kapazitätsgrenze. Ein Gutachten ermittelt derzeit, wie die Strecke ertüchtigt werden kann. Der Ausbau der Haltestellen für längere Züge ist in diesem Zusammenhang ein Thema, auch die Frage, ob ein Teil der linksrheinischen Trasse als U-Bahn gebaut werden soll. Es wird auf jeden Fall eines der großen stadtgestalterischen Themen der nächsten Jahre.

Teile des denkmalgeschützten Gebäudes in Ostheim werden von der KVB noch als Unterwerk zur Stromversorgung genutzt.

Teile des denkmalgeschützten Gebäudes in Ostheim werden von der KVB noch als Unterwerk zur Stromversorgung genutzt.

Es geht vorbei am Rautenstrauch-Joest-Museum, an Renzo Pianos Weltstadthaus und dem Reiterdenkmal Friedrich Wilhelms III. auf dem Heumarkt rauf auf die Deutzer Brücke. Der Blick zurück aufs Altstadt-Panorama ist zwingend – und immer wieder ein Genuss, am Tag, und erst Recht in der Dunkelheit.

Dann ab in den Tunnel. Was gäbe es oben zu sehen? Die Köln Arcaden, die belebte Kalker Hauptstraße, den Biergarten der Sünner Brauerei, und und und. Unten die Haltestellen: mit orangen blauen, und gelben Fliesen gestaltet. An der Haltestelle Kalk Post werden gerade Aufzüge eingebaut – ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einem barrierefreien Bahnbetrieb.

In Ostheim ist Licht am Ende des Tunnels. Es geht im schnellen Tempo durch Wohngebiete und abgeerntete Felder. Und schon ist die Endhaltestelle erreicht. Königsforst. Das Grün ist nur ein paar Meter entfernt. Und auch die Gelegenheit zur Stärkung, zum Beispiel im „Schwalbennest“. Dort ist am Samstag „XXL Kotelett Tag“. Doch auch wer´s nicht so deftig mag, wird dort satt – und kann gestärkt die Rückreise nach Sülz antreten.

Die Linie 9 verbindet die Naherholungsgebiete in Sülz und Königsforst

Die Linie 9 verbindet die Naherholungsgebiete in Sülz und Königsforst

 

Fotos: Matthias Pesch, KVB

 

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6 Kommentare

  • Christine

    Sehr schön geschrieben, so liebe ich meine Linie 9

  • Was ich mit Fotos mache, hat hier jemand (mit Fotos dazu) „anschaulich“ in Worte gefasst. Eine kleine Liebeserklärung an meine Heimatstadt eben

  • Lisa westholt

    Das hört sich ja alles sehr nett an, hat aber wohl eher nostalgischen Wert. Die Linie 9 platzt langsam aus allen Nähten, egal wann man fährt, und es wäre dringend notwendig, den FahrplanTakt zu verkürzen

    • Rüdiger Krause

      Hallo Frau Westholt,

      da haben Sie Recht. Es ist aber politisch und auch von Seiten der KVB nicht gewollt. Lieber will man noch 15 Jahre warten bis alle Bahnsteige verlängert sind und dann längere Züge einsetzen. Bis dahin sollen Entlastungsbusse parallel zur Bahn eingesetzt werden. Heureka. Früher waren Parallellinien verboten und wurden eingestellt. Heute ist es das Mittel der Wahl.

      Wir haben zwar 570 Millionen Euro oder notfalls auch mehr für die Sanierung von Opern- und Schauspielhaus, die von rund 200 000 Menschen jedes Jahr besucht werden, aber kein Geld für den Ausbau des ÖPNV oder eine Rheinunterquerung für die Linien 1 und 9, die jährlich von 20 000 000 Menschen benutzt werden. Das ist zwar ein Faktor 100 mehr, aber eben keine Kultur, sondern nur ÖPNV, der ja aus Sicht der Politik nur von Armen, Asozialen, Auszubildenden und Arbeitslosen benutzt wird. Dafür scheint es sich nicht zu lohnen, Geld auszugeben.

      Wie auf diesem Wege die Verlagerung des MIV zum Umweltverbund gelingen soll, bleibt daher das Geheimnis von Stattverwaltung (nur echt mit vier t!) und Rat.

  • Günter Walther

    Eben erst entdeckt und bin begeistert. So macht Bahnfahren mit „meiner“ Linie noch mehr Spaß und als Hobbyfotograf muss ich sagen: ich hätte es nicht besser dokumentieren können.

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