„Tünnes 54“ – Retter in der Not
Sie schleppen falsch parkende Fahrzeuge ab, ziehen PKWs aus Gleisanlagen, bergen verunfallte Fahrzeuge, kümmern sich um Schäden an Fahrgastunterständen und Bahnbauanlagen, reparieren abgefallene Mülleimer, nehmen Pflasterausbesserungen an Bahnsteigkanten vor, sägen umgestürzte Bäume nach einem Sturm ab, erledigen Schlüsseldienstarbeiten, schweißen gebrochene Schienen, beheben Weichenschäden und helfen, entgleiste Bahnen wieder auf die Schiene zu setzen.
Die Besatzung des „Tünnes 54“ ist mit ihrem Fahrzeug überall dort, wo es Not tut, wo etwas Unvorhergesehenes passiert ist und ad hoc Hilfe benötigt wird. Und das ist andauernd und zu jeder denkbaren Zeit der Fall und genau deshalb gibt es den sogenannten Entstördienst bei der KVB. Er beseitigt – wie der Name schon sagt – alle erdenklichen Störungen.
Und zwar rund um die Uhr, im Drei-Schicht-Dienst, an 365 Tagen im Jahr. Das Ganze mit elf Männern und einer Frau und einem unglaublichen Fahrzeug, das exakt für die Bedürfnisse der KVB konstruiert wurde: dem „Tünnes 54“.
„Wir haben pro Jahr rund 4.300 aktive Einsätze, eine Auslastung von circa 95 Prozent und fahren um die 150.000 Kilometer“, berichtet Stefan. Er ist Dienststellenleiter der Abteilung 27232 mit insgesamt beinahe 50 Mitarbeitern und etlichen weiteren Nutzfahrzeugen oder besser „Tünnessen“… – oder wie ist der Plural von Tünnes? Schätzungsweise gibt es den gar nicht, denn Tünnes ist ein kölsches Original, das einmalig ist und lediglich die Ergänzung „Schäl“ duldet.
Wie auch immer: Was der „Arnold“ für die Polizei in Köln ist, ist der „Tünnes“ für die KVB – eigentlich nur Erkennungsname für den Funkverkehr, im Alltagsgeschäft aber auch die Bezeichnung für das Fahrzeug selbst, in dem dieses Funkgerät zuhause ist. Ja, und manchmal – verrät ein Mitarbeiter – auch für den Chef, der hierüber nur grinst – schließlich macht der gelernte Metallbaumeister den Job schon seit 24 Jahren und kennt seine Kollegen.
Auf seine Mitarbeiter und eine Mitarbeiterin lässt Stefan nichts kommen, denn er weiß, was sie leisten: „Das ist ein verantwortungsvoller Job. Man muss flexibel, zuverlässig und hoch motiviert sein. Es müssen vor Ort oft in kurzer Zeit eigenverantwortlich Entscheidungen getroffen werden. Gerade beim Tünnes 54 muss es meist schnell gehen. Viele Mitarbeiter hier arbeiten schon viele Jahre zusammen, verfügen über sehr viel Erfahrung. Es gibt aber auch Nachrücker, wenn jemand in Rente gegangen ist. Die werden dann von uns für den Tünnes 54 ausgebildet und eingearbeitet.“, sagt Stefan. „Zu diesem Beruf muss man stehen – auch wegen der Wechselschicht und der ganz schweren Unfälle, die die Mitarbeiter verarbeiten müssen. Es gibt einen psychologischen Dienst und Schulungen zur Prävention und Trauma-Bewältigung, aber das ist trotzdem kein Job für jedermann.“
In der Tat nicht, denn hier sind Alleskönner gefragt: Der Tünnes 54 ist für sämtliche denkbare Störungen zuständig, sofern sie nicht Fahrleitungsanlagen, d.h. Oberleitungen, stromführende Bahnanlagen und Signalanlagen, betreffen. Die Besatzungsmitglieder sind zumeist Industriemechaniker, die durch interne und externe Schulungen sowie Learning by doing hinzulernen, was sie für ihre Diensteinsätze benötigen. Besonders der Wissensstand der älteren Kollegen ist gefragt, die die Erfahrungen ihrer vielen Einsätze mit den jüngeren Kollegen gerne teilen. Auf diese Weise werden sie zu den Universal-Handwerkern, die schlichtweg nahezu alles können und machen – sozusagen die gelben Engel der KVB.
An Bord ihres „Tünnes 54“ haben die Kollegen alles, was sie für ihre Arbeit brauchen. Gruppenleiter Dirk, seit 12 Jahren im Entstördienst, und sein Kollege Dimitri, der vor fünf Jahren in die Gruppe kam, führen mir den 18 Tonnen schweren MAN-LKW vor, der innerhalb von zwei Jahren mithilfe der Mitarbeiter des Entstördienstes und der KFZ-Mitarbeiter des Betriebshofes Nord so ausgebaut und eingerichtet wurde, wie er heute ist. Durchaus mit etwas – wie ich finde berechtigtem – Stolz. Alle haben ihre Ideen eingebracht und ihren Anteil an dieser rollenden Werkstatt, in der es beinahe nichts gibt, was es nicht gibt: Von Kettensägen über Schneidbrenner, Winkelschleifer, Schweißgeräte mit den
dazugehörigen Gasflaschen, allen erdenklichen Werkzeugen, Absperrhütchen, einer Ersatzhaltestelle, Eimern, Mörtel, Holzbohlen und pneumatischen Hebekissen zum Anheben von Fahrzeugen, den dazugehörigen Kompressor, Schrauben, Nägeln, Muttern, Seilen, Klebeband, Besen, Laubsauggerät etc., etc. – dazu einen Stromgenerator, der den Strom für die Baustellenversorgung liefert, zum Ausleuchten von Unfallorten oder den Betrieb der Elektrowerkzeuge. Es ist wirklich alles an Bord. Ein Teil des Materials ist in den sogenannten „Schmuckkästchen“ an den Außenseiten des LKWs untergebracht. Am Bug des LKW gibt es eine Seilwinde mit fünf Tonnen Zugkraft, hinten eine, die sogar zehn Tonnen schafft.
Die Seilwinden kommen zum Beispiel immer dann zum Einsatz, wenn PKW von den Gleisen gezogen werden müssen, die zum Teil auf kuriose Weise dort hingeraten sind: „Irgendwann wurden wir gerufen, weil ein PKW in der U-Bahn-Haltestelle am Ebertplatz stand. Ein Betrunkener war mit dem Auto die Treppen runtergefahren und vor dem Kiosk zum Stehen gekommen. Das konnten wir erst gar nicht glauben, haben ihn dann zusammen mit der Feuerwehr rausgezogen“, erzählt Dimitri. „Und einmal stand auch ein PKW in einem Tunnel. Der Fahrer war ebenfalls alkoholisiert, hatte noch vier weitere Personen im Auto. Er ist da reingefahren und erst vor einem Signal zum Stehen gekommen. Der PKW hatte keine Schramme und keiner konnte sich erklären, wie der Fahrer das fertig gebracht hatte…“
Einmal nach Anekdötchen gefragt, sprudeln die Geschichten nur so: „Verrückt war auch die Sache mit dem älteren Herren an der Amsterdamer Straße“, sagt Stefan. „Der Mann ist an einer nicht dafür vorgesehenen Stelle über die Gleise gegangen, dann gestolpert und hingefallen. Die Bahn, die gerade kam, konnte nicht mehr bremsen. Der Mann wurde überfahren, hatte aber ein wahnsinniges Glück: Die Gleise sind an dieser Stelle hochgesetzt. Als die Bahn stand, krabbelte der Typ unversehrt darunter hervor und beschwerte sich beim Fahrer, weil sein Anzug kaputt gegangen war. Dass er genauso gut hätte tot sein können, kam ihm überhaupt nicht in den Sinn.“
Die Kollegen Dirk und Dimitri schütteln lachend den Kopf. Sie kennen die Geschichte, haben selbst noch etliche Stories auf Lager. Zum Beispiel die von dem KVB-Mitarbeiter, der in einer Haltestelle in einem Personalraum eingeschlossen wurde, weil die Fluchttür defekt war. Er musste unter hohem Zeitdruck befreit werden, da er unter Diabetes litt und keine Spritze bei sich hatte. Dirk: „Da mussten wir die Tür schließlich aus der Verankerung heben, weil nichts anderes ging.“
Von den furchtbaren Unfällen, zu denen sie schon gerufen wurden, erzählen die Kollegen Außenstehenden nicht so gern. Die meisten wollen diese schlimmen Dinge sowieso lieber nicht hören und sie selbst haben gelernt, damit umzugehen: „Man kommt ins Team, wird so gut wie möglich vorbereitet und stellt sich darauf ein“, sagt Dimitri.
Inzwischen ist der aktuelle Tünnes 54 drei Jahre alt und muss voraussichtlich – ebenso wie seine Vorgänger – nach sechs bis sieben Jahren ausgemustert und ersetzt werden. Denn niemand bei der KVB möchte mehr so ein Fahrzeug missen – weder die Besatzung selbst, noch die anderen Kollegen. Insbesondere die von der Leitstelle nicht, die regelmäßig den Tünnes 54 zur Hilfe rufen, wenn ihnen eine Störung gemeldet wird: „Das ist unser Allzweckwerkzeug, die Kombizange für alles“, sagt ein Leitstellen-Mitarbeiter. „Egal, um was es geht, der Tünnes 54 ist unser wichtigstes Fahrzeug und wird meist mitgeschickt, wenn irgendwo etwas los ist.“
Aber ein Fahrzeug allein, das ist klar, reißt es auch nicht heraus. Wichtig sind die Menschen, die es bedienen und nutzen. Und die sind – so der Kollege von der Leitstelle, mit unverhohlener Anerkennung – einfach klasse: „Eine richtig elitäre Gruppe, die alles drauf hat und gut macht – egal wer gerade auf dem Wagen ist. Wenn die nicht weiter wissen, weiß es keiner mehr.“
Glaube ich auch!
Fotos:
Gudrun Meyer, Kölner Verkehrs-Betriebe AG
Zentrale Bahnbaudienste, Kölner Verkehrs-Betriebe AG
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Habe den Artikel gerade erst durch Zufall entdeckt, weil ich mal von diesem „Tünnes 54“ gehört hatte und das dann gegeoogelt habe. Hätte nicht gedacht, das der LKW so vielseitig ist. Sehr cooles Fahrzeug und der MAN TGX ist immer eine gute Wahl. Hat der denn Allrad Antrieb?
Was etwas unlogisch klingt ist, das der LKW nach nur 7 Jahren ausgemustert wird. Solche Fahrzeuge fahren doch locker über 200.000 Km und halten mehr als 20 Jahre bei guter Wartung und Pflege. Das wäre ja schon Verschwendung den nach nur 7 Jahren zu ersetzen.
Schade, dass die Links der Bilder im Artikel alle kaputt/veraltet sind. Wenn man aus einem aktuellen Artikel verlinkt, sollte man prüfen, dass der verlinkte Artikel – dieser hier – noch funktioniert.
Ist bereits bekannt und die Kollegen sind dran. Im aktuellen Artikel sind ja alle Fotos vorhanden. Der Tünnes-Artikel ist nur für die, die mit dem Begriff „Tünnes“ nichts anfangen können 😉 VG Carola