In guten Händen – Psychologische Betreuung nach Unfällen

➥ Ein Unfall mit Personenschaden und im schlimmsten Fall sogar mit Todesfolge ist für jeden Stadtbahn-Fahrer und jede Stadtbahn-Fahrerin der Alptraum schlechthin.
Leider gibt es diese Extremereignisse und in den allermeisten Fällen ist der Fahrer oder die Fahrerin aufgrund des Bremsweges und des Nicht-Ausweichen-Könnens machtlos. Ob es sich dabei um einen versuchten Suizid handelt oder die Person aus anderen Gründen von der Bahn erfasst wurde, ist für den oder die Betroffene in der Fahrerkabine vermutlich nicht entscheidend.
Das Erlebte sitzt tief und nicht selten machen sich Betroffene Vorwürfe.
Auch bei Busfahrerinnen und Busfahrern kommt es in Folge von Unfällen oder auch bei Übergriffen zu traumatischen Situationen. Und auch das Service-Personal, das in Bussen und Bahnen Tickets kontrolliert oder an den Bahnsteigen für Ordnung sorgen soll, wird in seinem beruflichen Alltag in der Stadt immer wieder mit Extremereignissen konfrontiert. Seien es aggressive Kunden oder verstörende Begegnungen mit Obdachlosen und Drogenkonsumierenden. Viele Mitarbeitende sind nach solchen Ereignissen auf Hilfe angewiesen.
Bei der KVB sind die Diplom-Psychologin Ursula Reimering und der Diplom-Psychologe Hans-Georg Issinger intern für die psychologische Betreuung nach Extremereignissen zuständig. Sie helfen Betroffenen, nach traumatischen Erlebnissen wieder in die Spur zu kommen – im wahrsten Sinne des Wortes. Eine externe psychologische Betreuung gibt es zusätzlich durch das in Köln ansässige Institut für psychologische Unfallnachsorge (IPU) und in seltenen Fällen auch durch die Trauma-Ambulanz der Landesklinik Merheim. Für die kurzfristige Erst-Hilfe nach einem Unfall im Fahrdienst sorgt zudem ein sechsköpfiges Unfallteam, welches einen wertvollen Dienst für alle Fahrerinnen und Fahrer von Stadtbahn und Bus leistet.
Seit 25 Jahren arbeitet Ursula Reimering bei der KVB und leitet den Teilbereich 415 Gesundheit und Soziales. Ein großer Teil ihrer Aufgaben ist die Beratung für Mitarbeitende in Krisensituationen, auch abseits von Unfällen oder Übergriffen. Bevor sie zur KVB kam, arbeitete Frau Reimering beim IPU und betreute dort Autofahrer nach Unfällen. Sie wollte wissen, wie die KVB ihre Fahrerinnen und Fahrer nach Unfällen betreut und reichte eine Anfrage ein. Der Betriebsrat und auch die Betriebsärzte fanden das Thema interessant, da die Betreuung zu jener Zeit noch nicht so professionell angegangen wurde. Gemeinsam mit der KVB und IPU entwickelte Ursula Reimering das so genannte „Kölner Modell“ (siehe Kasten am Ende des Textes).
Ein wichtiger Punkt bei der Betreuung ist, dass der oder die Betroffene nach einem schweren Unfall an dem Tag nicht mehr weiterfahren soll. Frau Reimering beschreibt die Reaktion so: „Oft fühlen sich Fahrerinnen und Fahrer in der ersten Zeit nach einem Unfall noch fahrtauglich, da sie unter Stresshormonen stehen. Wenn dann aber die Entlastung kommt, reagiert der Körper auf die enorme Energie, die er bereitgestellt hat.“ Früher hieß die Devise: Zuerst die Maschine, dann der Mann! Man sollte immer noch die Stadtbahn zurück in den Betriebshof fahren. Das ist heute zum Glück anders.

Das Unfallteam der KVB (v.l.): Marcus Lochmann,
Sebastian Schmitz, Ronald Nepolsky, Christian Karpuschewski, Andre Fehr und Frank Börnicke
Die erste KVB-Person, die nach einem Unfall vor Ort ist, ist in der Regel ein Verkehrsmeister. Je nach Schwere des Unfalls alarmiert dieser dann das Unfallteam der KVB. Das Team besteht aus sechs Mitarbeitern, die im Schichtdienst an sieben Tagen in der Woche von 6 bis 22 Uhr für die Kolleginnen und Kollegen des Fahrdienstes da sind. Das Team hat seinen Standort am Neumarkt und ist dort auf Abruf jederzeit bereit, loszufahren und nach Unfällen zu unterstützen. An Tagen wie Weiberfasnacht oder Rosenmontag ist zusätzlich ein Kollege am Betriebshof West in Braunsfeld, weil man unter Umständen an diesen Tagen vom Neumarkt nicht so einfach mit dem Auto wegkommt.
Die Aufgabe des Unfallteams beschreibt Team-Mitglied Marcus Lochmann: „Wir sind nur für den Fahrer da und kümmern uns um ihn. Wir sorgen dafür, dass er nach einem schweren Unfall so schnell wie möglich vom Unfallort weggebracht wird. Je nach emotionaler Verfassung und nach Uhrzeit entweder zum Betriebsarzt oder in die Notfall-Ambulanz nach Merheim. Wir betreuen den Fahrer dann so lange, bis er an einem emotional sicheren Ort ist. Das kann 30 Minuten oder vier Stunden dauern.“ Der emotional sichere Ort ist in der Regel das Zuhause des Betroffenen, es kann aber auch die Wohnung eines Verwandten oder eines Freundes sein. Das Unfallteam ist geschult darin, im Gespräch herauszufinden, wo dieser Ort ist.
Manchmal bekommen die Unfallbetreuer auch die Info, dass die Fahrerin oder der Fahrer schon mit dem Rettungswagen auf dem Weg in die Trauma-Ambulanz ist. Dann fahren sie direkt dorthin, um sie oder ihn zu unterstützen.
Lochmann ist wie seine anderen fünf Kollegen aus der Unfallbetreuung früher selbst Fahrer gewesen. In dieser Tätigkeit haben alle eigene Erfahrungen mit Unfällen gemacht – auch wenn es zumeist nur Blechschäden waren – und wissen daher, wie man sich danach fühlt. Durch diverse Weiterbildungen sind die Kollegen im Umgang mit den traumatisierten Fahrern geschult. Am Wichtigsten ist dabei, den Fahrer und seinen körperlichen und psychischen Zustand ernst zu nehmen. „Jeder Unfall ist gleich zu behandeln. Ob das nur Blechschaden oder ein Personenschaden ist. Das Trauma ist da“, sagt Frank Börnicke und sein Kollege Andre Fehr ergänzt: „Das Schlimmste was man machen kann, ist den Vorfall zu bagatellisieren“.
Die Stabsstelle Unfallbetreuung und Service existiert seit Oktober 2023. Im letzten Jahr hatte das Team über 260 Einsätze aufgrund von Unfällen mit Personenschaden, einmal davon auch mit Todesfolge. Hans Oster ist als Leiter Fahrbetrieb Stadtbahn für das Unfallteam zuständig. Er betont die Wichtigkeit des schnellen Zugriffs auf die verunglückten Fahrer: „Unser Team sollte so schnell wie möglich am Unfallort sein, um die Kollegen rauszuziehen, auch damit kein verfälschtes Bekenntnis bei der Polizei abgegeben wird. Wir müssen die Kolleginnen und Kollegen in diesem Moment schützen.“
Die meisten Einsätze des Unfallteams sind für den Fahrdienst der Stadtbahn. Bei Bussen sind schwere Unfälle mit Personenschaden eher selten. Allerdings gab es zuletzt leider einige Einsätze wegen tätlichen Übergriffen gegen Busfahrer. Auch hier helfen die Männer des Unfallteams vor Ort. Frank Börnicke erzählt von den Reaktionen der Kolleginnen und Kollegen: „Das Feedback ist immer positiv. Das wichtigste für die Leute ist, dass sie nicht alleine sind nach einem Unfall. Wir bekommen viel Dankbarkeit für unsere Arbeit.“
Je nach Schwere des Traumas entscheiden die Betroffenen, ob sie im Nachgang eines Unfalls oder Übergriffs eine psychologische Betreuung in Anspruch nehmen wollen, bevor sie wieder ihre Fahrtätigkeit aufnehmen. Nachdem der betroffene Mitarbeitende beim Betriebsärztlichen Dienst war, erhält er oder sie einen Termin bei den Psychologen der Sozialberatung oder bei IPU. In den therapeutischen Gesprächen geht es vor allem darum, den Betroffenen zuzuhören und „mitzuschwingen“, wie Ursula Reimering das nennt. „Wir schaffen die Flankierung dafür, dass sich die Seele ganz unwillkürlich öffnen darf“, erklärt die Diplom-Psychologin. Die freundliche und emphatische Art von Frau Reimering, die übrigens auch der ärztlichen Schweigepflicht unterliegt, hilft dabei, dass die Mitarbeitenden sich wohl fühlen und sich öffnen können. Alles hat Bedeutung und der oder die Betroffene gibt vor, worüber er oder sie sprechen möchte.
„Betroffene haben oft Schuldgefühle. Jeder hat eine Idee, wie der Unfall hätte verhindert werden können. Sei es, den freien Tag nicht genommen zu haben oder vorher die Tür nicht nochmal aufgemacht zu haben“, erzählt Reimering aus ihren Gesprächen. Manchmal entstehen solche Schuldgefühle auch durch Sätze von Fahrgästen oder der Polizei. „Das Gehirn hat seinen Schutz verloren und es brennt sich alles ein, was du da erlebst“, sagt Reimering. Deswegen ist es umso wichtiger, dass die Person so schnell wie möglich vom Unfallort weggebracht wird.
Ein Teil der Aufarbeitung ist auch eine spätere Begehung an der Unfallstelle. Meist realisiert der betroffene Fahrer erst vor Ort, wie der Unfall abgelaufen ist. Und es gibt immer das Angebot mit Fahrschule und Therapeut die Unfallstelle zu überfahren. Bei dieser so genannten Fahr-Erprobung sind zumeist Mitarbeitende von IPU beteiligt. „Das passiert natürlich nach vorheriger Absprache, aber fast alle möchten das. Man fährt dann mehrmals über die Stelle und schaut, wie reagiert der Körper des Betroffenen. Manche reagieren zum Beispiel mit Schweißausbrüche, Kopfschmerzen, Schwindel oder Übelkeit“, weiß Reimering zu berichten.
Am Ende steht das Ziel, den Unfall nicht zu vergessen oder zu verdrängen, sondern damit umzugehen lernen, um weiterhin angstfrei seiner beruflichen Tätigkeit nachgehen zu können. „Die meisten Fahrerinnen und Fahrer schaffen das. Manche sehr schnell, andere erst nach einer mehrmonatigen Pause. Auch das ist ganz individuell“, so Reimering. Nach der Therapie wird gemeinsam mit dem Betriebsarzt ein Abschlussbericht erstellt und die Fahrer gehen in aller Regel dann nochmal für ein paar Stunden in die KVB-Fahrschule.
Bei neuen Kolleginnen und Kollegen wird bereits in der Fahrschule das Thema angesprochen und werden die Betreuungs- und Hilfs-Angebote vorgestellt. Die KVB macht also viel, um das Fahr- oder Servicepersonal nach Extremereignissen zu unterstützen und beim Wiedereintritt ins Arbeitsleben zu helfen. Auch gibt es oft die Möglichkeit, in einem anderen Bereich des Unternehmens tätig zu werden, wenn eine Rückkehr an die alte Stelle tatsächlich nicht mehr möglich ist. Die Erfolgsaussichten zu einer Rückkehr sind aber groß – dank Menschen wie Ursula Reimering, Hans-Georg Issinger und dem engagierten Unfallteam vom Neumarkt.
Das Kölner Modell wurde in den 90er Jahren von Ursula Reimering für die KVB entwickelt und hat sich unter diesem Namen in vielen Städten Deutschlands als Standard in der Unfallbetreuung im ÖPNV bewährt. Ziel ist es, die Fahrerinnen und Fahrer nach einem schweren Unfall aus dem Dienst zu nehmen und sie so zu betreuen, dass sie das Ereignis verarbeiten können und nach einer gewissen Zeit wieder arbeitsfähig sind.
Das Kölner Modell umfasst folgende Punkte:
- 1. → Die Ausbildung von innerbetrieblichen Psychologischen Ersthelfern zur Begleitung des verunfallten Betriebsangehörigen an einen emotional sicheren Ort.
- 2. → Die Betreuung des verunfallten Betriebsangehörigen durch einen zusätzlichen Verkehrsmeister am Unfallort.
- 3. → Die fachliche Einbeziehung der Berufsgenossenschaft und des Betriebsärztlichen Dienstes.
- 4. → Die Vereinbarung eines Termins für die Psychotherapie, falls diese erforderlich erscheint.
- 5. → Die Durchführung der Psychotherapie.
- 6. → Die Vorbereitung der Wiedereingliederung in die dienstliche Tätigkeit, z. B. durch eine therapeutisch angelegte Probefahrt.
- 7. → Die einvernehmliche und therapeutisch überwachte Wiedereingliederung in die dienstliche Tätigkeit.
- 8. → Die Überprüfung der Wiedereingliederung nach etwa einem halben Jahr.
Fotos: Christian Seiter, Verkehrsmeister/KVB und unsplash
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Hallo, als Fahrgast würde mich mal die Unfallstatistik interessieren. Im Artikel wird ja von 260 Unfällen mit Personenschaden bei der Bahn gesprochen, wie viele Unfälle gibts denn so insgesamt bei wie vielen Fahrten?
Auch das es bei den Bussen weniger Unfälle gibt, echt überraschend. Dachte, das gerade im Straßenverkehr mehr passiert. Da die Bahnen ja auch in Tunneln fahren.
Ich wohne schon seit über 10 Jahren in Köln und habe zum Glück bisher noch keinen einzigen Unfall live miterlebt, Egal ob Bahn oder Bus. Auf mich macht der ÖPNV in Köln einen sehr sicheren Eindruck. Unfälle hat natürlich niemand gerne, fande den Blick hinter die Kulissen trotzdem sehr interessant.
Bezüglich genauerer Zahlen mache ich mich mal bei den Kollegen schlau! VG Carola
Genauere Zahlen liegen uns hier aktuell nicht vor. In diesem Artikel geht es ja konkret um schwere Unfälle, die im Busbereich weniger vorkommen. Insgesamt sind Unfälle mit Bussen aber natürlich um einiges häufiger (Unfälle mit Bagatellschäden etc.). VG Carola