Spezialtiefbau am Waidmarkt für Einsteiger und Hobbyingenieure
Am Waidmarkt ist es diesen Herbst einen großen Schritt vorangegangen: Die Baugrube wurde mit Betonplatten abgedeckt und die Schallschutzwand, die dort rund vier Jahre lang stand, abgebaut. Jetzt geht es bald weiter in die Tiefe. Zuvor stehen aber noch weitere wichtige Sicherheitsmaßnahmen an – zum Beispiel die Abdichtung der Fugen der Schlitzwandlamellen mithilfe einer Vereisung…
Okay, okay. Ich merke schon: Das war jetzt ein bisschen zu insider-mäßig. Schließlich ist nicht jede oder jeder Tiefbau-Ingenieurin oder -Ingenieur! 😊
Am Waidmarkt wird ein unterirdischer Gleiswechsel für die Nord-Süd Stadtbahn gebaut und nicht – wie fälschlicherweise immer wieder behauptet wird – eine Haltestelle. An dieser Stelle stürzte 2009 das Kölner Stadtarchiv ein. Zwei junge Männer starben. Es folgten jahrelange Untersuchungen, bis ein Vergleich zwischen den Baufirmen, der Stadt Köln und der KVB als Bauherrin geschlossen war, um die Modalitäten für Sanierung und Weiterbau zu regeln.
Ende 2020 konnte dann endlich mit den konkreten Vorarbeiten für die Sanierung begonnen werden. Zunächst wurde die Baugrubenumschließung, die aus sogenannten Schlitzwänden besteht, die rund 40-45 Meter tief ins Erdreich gehen, intensiv auf ihre Standsicherheit und Qualität hin untersucht. Wo notwendig, fanden Sanierungen statt.Hört sich einfach an, war es aber nicht, da die Baugrube mit Grundwasser gefüllt war und die meisten Arbeiten nur von Tauchern ausgeführt werden konnten.Als das abgeschlossen war, wurden die untere und die mittlere Ebene des Bauwerks mit Kies und Beton verfüllt.
Nur so kann erreicht werden, dass der starke Wasserdruck nicht von außen die Wände eindrückt und die Baugrube stabil bleibt.
Schalung und Betonage der „Vorsatzschale“
Im obersten Stockwerk wurde innen eine zusätzliche, rund 80 Zentimeter dicke Betonschicht auf die Schlitzwände gesetzt und oben drauf noch ein dicker Stahlbetonkopfbalken. Beides stark und massiv genug, um Verstrebungen aus Stahlträgern und darauf Betonfertigteile auflagern zu können, mit denen die Baugrube nun abgedeckelt wurde.
Voilà! Und da sind wir: Mitten in der Gegenwart.Dirk Höllermann, Geschäftsführer der Arge Los Süd, steht mit mir auf dem Betondeckel über der geschlossenen Grube:
„Jede der 153 Betonfertigteile, mit denen die Abdeckelung hergestellt wurde, ist 1,50 mal fünf Meter groß, 30 Zentimeter dick und wiegt circa fünf Tonnen“, erklärt er. „Die meisten Arbeiten, die jetzt anstehen, können unter diesem Deckel stattfinden.
Für die Anwohnerinnen und Anwohner und die Schulen wird es dadurch wesentlich ruhiger.“
November 2024: Mit tonnenschweren Fertigelementen, die auf Stahlträger aufgelagert werden, wird die Baugrube abgedeckelt.
Eine wirklich gute Nachricht! Und weil es ruhiger ist, konnte direkt auch die Schallschutzwand abgebaut werden, die die Baugrube auf Geheiß der Bezirksregierung vier Jahre lang umgab. „Allerdings“, setzt Höllermann nach, „müssen wir bis etwa Ende Januar 2025 erst noch Vereisungsbohrungen rund um die Baugrube herum ausführen. Das geht nur an der Oberfläche und ist noch einmal mit nicht vermeidbaren Schallimmissionen verbunden. Damit der Lärm der zwei eingesetzten Bohrgeräte möglichst weit reduziert wird, werden sie eingehaust. Auch die Container, in denen die Kühlaggregate untergebracht sind, sollen mit einer Schallschutzeinhausung versehen werden.“Sinn und Zweck der Vereisung ist die Abdichtung der Fugen zwischen den Schlitzlandlamellen. Davon gibt es insgesamt 23 Stück. „Vor den Fugen wird eine Bohrung bis zum Fuß der Schlitzwand abgetäuft“, erklärt der Diplom-Ingenieur und meint damit „heruntergebohrt“. Zwischen diesen Lanzen muss jeweils eine weitere Bohrung erfolgen, um dort Temperaturmessketten zu installieren, mit denen der Vereisungsprozess kontinuierlich kontrolliert werden kann.
Bohrgerät zum „abtäufen“ der Vereisungsbohrungen
Höllermann: „Nachdem die Bohrungen abgeschlossen sind, soll rund um die gesamte Baugrube herum ein Versorgungskanal hergestellt werden. Es handelt sich dabei um einen Fertigteilkanal, in den die oberen Enden der Vereisungslanzen hineinragen, die dann innerhalb des Kanals umlaufend mit einer Leitung verbunden werden. Der Versorgungskanal wird abgedeckelt, so dass die Baugrubenabdeckung befahrbar bleibt. Zur Kontrolle der Leitung können die Kanalabdeckelungen entfernt werden. Die Leitung soll dann über das Baufeld zu einem Doppelcontainer geführt werden, in dem sich die Vereisungsanlage befindet. In dieser Anlage wird Sole, eine Vereisungsflüssigkeit, auf Minus 35 Grad hinuntergekühlt.“
Über das Leitungssystem kann die Sole in die doppelwandigen Vereisungslanzen gepumpt und von dort zurück zur Vereisungsanlage geführt werden. Es entsteht ein Kreislauf, bei dem die Sole immer wieder auf die erforderliche Temperatur heruntergekühlt und in das Leitungssystem gepumpt wird. Im Erdreich entsteht auf diese Weise rund um die Vereisungslanzen herum ein Eiskörper mit einem Durchmesser von rund 1,50 Metern. Das macht die Fugen dicht.
Das Verfahren wird weltweit beim U-Bahn-Bau angewandt und kam auch beim Haltestellenbau am Kartäuserhof, an der Severinstraße und am Rathaus erfolgreich zum Einsatz. Am Waidmarkt wird die Vereisung über mehrere Jahre bis zum Ende der Sanierung und dem Beginn der eigentlichen Rohbauarbeiten für das Gleiswechselbauwerk benötigt werden. Los geht es damit voraussichtlich im März.
Bis es soweit ist, muss auch noch einiges im Inneren der Baugrube passieren: Durch eine der zwei Andienöffnungen im Betondeckel gelangen Material und Personal in die Baugrube.
Dirk Höllermann und ich gehen durch eine der Öffnungen den Treppenturm hinunter in die oberste Etage des Bauwerks.Ringsum sieht man nun die glatten, sauberen Betonwände der Vorsatzschale.
Unterhalb dieser Wand wird in Kürze ein weiterer massiver Stahlbetonbalken mit einer Höhe von
1,20 Meter und einer Stärke von einem Meter betoniert. Eine Mannschaft von rund acht Stahlflechtern baut gerade die Stahlbewehrung für diesen Balken ein, die der Fachmann Dirk Höllermann „Gurtung“ nennt.
„Wenn die fertig ist“, sagt er, „wird zwischen diesem umlaufenden Balken eine erste Stahlaussteifung eingebaut und vorgespannt. Das ist aus statischen Gründen zwingend notwendig. Erst danach kann die rund 1,80 Meter dicke Stahlbetondecke, auf der wir jetzt stehen, abgestemmt werden. Sie muss raus, damit wir uns dann nach und nach weiter in die Tiefe vorarbeiten können.“
Insgesamt werden fünf solcher Stahlaussteifungen benötigt, um die Baugrube im Verlauf der weiteren Sanierung in den kommenden Jahren bis auf die Endtiefe ausheben und dann – nach Herstellung einer rund zwei Meter dicken, im Erdreich verankerten Bodenplatte – das Bauwerk endgültig fertigstellen zu können.
Vorbereitung für die Betonage des Stahlbetonbalkens (Gurtung): Herstellung der Bewehrung und der Schalung
Die Sicherheit steht bei der Sanierung und Fertigstellung des Gleiswechsels Waidmarkt an oberster Stelle. Irgendwann kommen auch wieder Taucher zum Einsatz. Das alles kostet viel Zeit. Die Antwort darauf, wann hier alles fertig ist, kann nur mit Vorbehalt gegeben werden. Dirk Höllermann: „Nach dem aktuell vorliegenden Terminplan geht die Arge von einer Fertigstellung des Rohbaus in rund sieben Jahren aus. Das wäre also 2031/32. Der Ausbau ist zum allergrößten Teil schon in diese Zeit hineingerechnet, da er bereits parallel zu den Rohbauarbeiten stattfinden soll.“
Es ist selbstverständlich möglich, dass sich Arbeiten im Verlauf dieser sieben Jahre als aufwendiger erweisen und längere Zeit beanspruchen als vorgesehen. Dies ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass es sich um eine havarierte Baugrube handelt, bei der bisher – aufgrund des sich darin befindlichen Materials – noch nicht alle Bereiche erkundet werden konnten. Das kann erst zu einem deutlich späteren Zeitpunkt durch Taucher erfolgen. Es wird aber kontinuierlich daran gearbeitet werden, eventuelle Zeitverzögerungen an anderer Stelle zu kompensieren.Schneller geht die Einrichtung eines Fahrradweges. Nachdem die Bohrungen für die Vereisungslanzen fertig sind, wird der Bauzaun an der Westseite der Baugrube vor dem Friedrich-Wilhelm-Gymnasium und vor REWE weiter in das Baufeld hineingezogen und der bestehende Durchgang erheblich aufgeweitet werden. Neben dem Fußweg wird ein Radweg hergestellt, der in beiden Richtungen befahrbar sein wird. Der Bus- und der motorisierte Individualverkehr werden weiterhin umgeleitet.
Freuen können sich alle Anwohnenden auch auf die bevorstehenden Weihnachtstage, die Tage zwischen den Jahren und die Zeit bis zu den Heiligen drei Königen, denn ab dem 19. Dezember 2024 bis zum 6. Januar 2025 wird der Betrieb auf der Baustelle am Waidmarkt eingestellt. Die Anwohnenden können sich über eine Ruhepause freuen.
Im Namen der Kölner Verkehrs-Betriebe und der Arge Los Süd wünsche ich allen Veedelsbewohnern, den Schülerinnen und Lehrkräften, den Gewerbetreibenden und auch allen am Bau beteiligten Arbeitern, Sekretärinnen, Bauleitern, Bauüberwachern, Ingenieuren, Statikern usw. usw. bereits jetzt das Allerbeste. Kommen Sie gut und gesund ins neue Jahr!
Fotos: Christoph Seelbach, Gudrun Meyer, Andrej Zimmermann, Arge Los Süd
Weiterführende Informationen:
Einen Film zu den Bauarbeiten, die der Geschäftsführer der Arge Los Süd erklärt, sehen Sie hier:
Waidmarkt – Bautenstand November 2024.
Als Animation ist der komplette Bauverlauf zu finden unter den Baustelleninformationen auf der Homepage der KVB.
Mehr Informationen zum Thema Vereisung gibt es in der Broschüre „Eiszeit unter Tage“, die unter den Publikationen auf der Homepage der KVB zu finden ist.
Wer Interesse an weiteren Beiträgen hat, findet sie hier:
Mehr Service, Ordnung und Sicherheit!
Es geht voran, erfreulich! Erwähnenswert ist noch die Bemühung der Stadt, angeregt durch die Bürgerinitiativen ArchivKomplex und „Köln kann auch anders“, für die Gestaltung des oberirdischen Geländes eine gute Lösung zu entwickeln. Im Rahmen der Kooperation in einer Planungswerkstatt ist derzeit die Rotterdamer Künstlergruppe „Observatorium“ vor Ort am Waidmarkt. Mehr dazu auf deren Seite https://www.panorama-Waidmarkt.de oder auf http://www.archivkomplex.de
Danke für das Feedback und die Ergänzung 👍
Als täglicher, mehrfacher Benutzer der Linie 5 muss ich gestehen, dass ich nicht verstehe warum die Fertigstellung des Abschnittes am Waidmarkt, wohlwissend um alle Schwierigkeiten, nach 15 Jahren immer noch nicht abgeschlossen ist, und dass die Eröffnung sogar erst für 2031/2032 vorsichtig angekündigt wird, also 22 Jahre (!) nach dem Unglück. Wenn es sich dort um eine Gleisewechsel- und nicht um eine Haltestelle handelt, entfallen wohl aufwendige und die damit verbundene, zeitraubende Bau- und Gestaltungsarbeiten. Aber es wird sicher noch lange dauern, bis die ersten Gleise verlegt werden …
Die Römer haben weniger gebraucht, um Colonia aufzubauen. Vielleicht wäre es auch besser gewesen die Ingenieure und Baufirmen, die Notre-Dame-de-Paris in kaum mehr als 5 Jahren vollkommen restauriert haben, heranzuziehen. Die haben gleich am nächsten Tag echt „gepowert“, die rechtlichen Aspekte und Streitigkeiten erstmal zurückgesteckt und die Untersuchungen parallel laufen lassen (die Ursache des Unglücks ist bis heute noch nicht geklärt – die Kathedrale aber dafür fertig).
Ich weiß, das hört sich ziemlich ketzerich an, aber soll doch zeigen, dass der ÖPNV und die KVB mir am Herzen liegen.
Auf den Erfolg einer baldigen und durchgehenden Linie 5 Butzweilerhof-Arnoldshöhe – und andere !
Nix für Ungut: Halten Sie uns bitte über den Fortschritt der Bauarbeiten immer auf dem Laufenden! Danke.
Ein treuer Fahrgast.